Einleitung

Überleben

Die unglaubliche Geschichte einer Rettung – E.Shackletons Antarktis-Expedition

Sir Ernest Shackleton war in Sachen Südpol kein Neuling.Bereits 1914 schloss er sich als junger Offizier der britischen Handelsmarine  einer ersten, allerdings erfolglosen Expedition zum Südpol unter Leitung von R.Scott an ;  lebensbedrohlich erkrankt  kehrte Shackleton  nach England zurück, wo er schon damals als Held gefeiert wurde. Auch nach seinem zweiten Versuch 1907, den Pol mit drei Begleitern zu erreichen hatte Shackleton keinen Erfolg; er musste 100 Meilen vor dem Ziel umkehren, galt aber nach seiner Rückkehr nach England als Nationalheld und wurde in den Adelsstand erhoben.Damit hatte er bereits Rang und Namen. Als  Shacklketon dann 1913 seine „Imperial  Trans-Arktic Expedition“ vorbereitete traf die Nachricht vom Tode R.Scotts ( auf dem Rückmarsch  vom Südpol ) in England ein, die im ganzen britischen Empire  mit Trauer aufgenommen wurde.

So wird das Pathos verständlich mit dem Shackleton sein neues großes Projekt an- kündigte :“ Gefühlsmäßig betrachtet, ist es die letzte große Polarreise , die man machen kann . Es wird eine größere Reise als die zum Pol und zurück, und ich spüre, dass es für die britische Nation an der Zeit ist, sie in Angriff zu nehmen, da wir bei der Eroberung des Nordpols wie auch des Südpols geschlagen wurden. So bleibt nur noch die größte und aufsehenserregenste Reise von allen- die Durch – querung des Kontinents.“

Nach allem ist es nicht verwunderlich , dass Shackleton fast 5000 Bewerbungen „aus allen sozialen Schichten“ für eine Teilnahme an seiner Expedition erhielt, als er diese Anfang des Jahres 1914 der Öffentlichkeit vorstellte.
27 Namen – von Offizieren, Wissenschaftlern und Matrosen – wurden schließlich in die Heuerliste eingetragen: Bakewell, Blackborrow, Cheetham, Clark, Crean, Green, Greenstreet, Holness, How, Hudson, Hurley, Hussey, James,Kerr, Lees, Macklin, Marston, Mc Ilroy, Mc Leod,  Mc Nish,  Rickinson, Stephenson, Vincent, Wild, Wordie, Worsley .

Als Mannschaft und Schiff nach umfangreichen Vorbereitungen und vielen  Finan – zierungsproblemen Ende Juli 1914 schließlich startklarwaren, drohte der Ausbruch des 1.Weltkriegs. Zu Beginn der Generalmobilmachung in England (4.Aug. 1914) erhielt Shackleton , der seinen Verzicht auf die Expedition angeboten hatte , von der britischen Admiralität mit persönlichem Telegramm von W.Churchill die Order , ohne Rücksicht auf den Kriegsausbruch in die Antarktis zu fahren und dort die geplanten geografischen und wissenschaftlichen Arbeiten durchzuführen.

Das Schiff , die „ENDURANCE“ war auf einer norwegischen Werft speziell  für Fahrten im Polarmeer ausgerüstet worden und verfügte neben der Besegelung auch über einen Motor. Der erste Teil der Reise führte über Buenos Aires nach Südgeorgien , einer Insel etwa 900 Seemeilen östlich der Falkland-Inseln mit einer norwegischen Walfang-Station . Von dort stach die „ENDURANCE“ anfang Dezember 1914 , wobei Shackleton vor den zu jener Zeit auffällig ungünstigen Eisbedigungen im Weddellmeer gewarnt worden war.

Bei meist stürmischem Wetter mit andauerndem Schneegestöber kämpfte sich das Schiff unter größtem Einsatz der Mannschaft durch das bedrohlich dichter werdende Eis  vorwärts, bis es nur noch eine Tagesreise von einem möglichen Landeplatz  auf dem antarktischen Festland trennte.Die Küste blieb aber unerreichbar. Die „ENDURANCE „ wurde schließlich im Eis bewegungsunfähig , fror ein und war damit völlig der Drift des Eises ausgeliefert , die das Schiff wieder vom Land nach Westen trug. Shackleton und seiner Mannschaft blieb nichts anderes übrig  als sich auf der „ENDURANCE“ für den kommenden Polarwinter einzurichten. Mit täglicher Routine und einer regelmäßigen Zeitplanung versuchte man, die Dauer des Wartens zu strukturieren. Trotzdem blieb die psychische Belastung für die 28 Männer enorm groß, die von jeder Nachrichtenverbindung  abgeschnitten auf engstem Raum , noch dazu auf einem ständig bedrohten Schiff, den antarktischen Winter zu überstehen  versuchten.

Im Verlauf der Wintermonate nahm der permanente Druck des umschließenden Eises so zu, dass die ENDURANCE“ schließlich verlassen und aufgegeben werden musste; sie wurde vom Eis zermalmt und sank.
Shackleton hatte die notwendig gewordene Evakuierung rechtzeitig vorbereiten lassen; so konnten die meisten Vorräte , wichtige Ausrüstung  und vor allem die drei Rettungsboote auf dem Eis gesichert werden.
Shackleton hatte nach dem Vorbild Amundsens auch Schlittenhundegespanne für die Durchquerung des antarktischen Festlandes mitgenommen, die nach dem Verlust der „ENDURANCE“ und der Notwendigkeit strenger Rationierung der Lebensmittel alle erschossen werden mussten.
Während der folgenden Monate mussten die Expeditionsteilnehmer in fünf Zelten auf einer großen Eisscholle kampieren ,mehrere hundert Seemeilen von der nächsten Küste entfernt. Sie sind dabei den stets wechselnden Einflüssen der Natur völlig ausgesetzt : den tiefen Temperaturen , den Schneestürmen, den fortdauernden Veränderungen des Eises und der Meeresdrift. Und die haben keine Möglichkeit,sich irgendwie bemerkbar machen und Hilfe von außen erwarten zu können.
Das Camp auf dem Eis musste zweimal gewechselt werden. Der Marsch mit den schweren Booten über das zerklüftete Eis überforderte alle und so  zerschlug sich auch  die Hoffnung, vielleicht über die Eisfelder an der westlichen antarktischen Landzunge erreichen zu können. Es blieb allein die Hoffnung, dass die vorherrschenden Südostwinde anhielten und so das Eis auf die Inseln an der Spitze der antarktischen Halbinsel zutrieben,
wohin sich die Männer in den Booten endlich, jedoch wiederum auch nur vorläufig retten könnten. Dies gelang schließlich auch unter unsäglichen Strapazen und bei stets größter Gefahr für die schwachen Boote zwischen dem auseinanderbrechenden  Eis.

Der Landeplatz auf Elefant Island ( benannt nach den dort häufig anzutreffenden See-Elefanten ) bot zwar nur einen schmalen steinigen Küstenstreifen  vor einer vergletscherten  Felsküste, bedeuetete aber für die Mannschaft Shackletons  endlich den Unsicherheiten des Meeres  und dem Ausgesetztsein auf den Eisschollen entkommen zu sein. Da an dieser Küste wieder ausreichend Robben und Pinguine gejagt werden konnten,
nahm auch die Sorge um die schwindenden Nahrungsmittelvorräte erst einmal ab. Der größte Teil der Expeditionsteilnehmer musste nun die folgenden vier Monate in einer Unterkunft ausharren, die aus zwei kieloben gelagerten Rettungsbooten zusammen mit Steinen und Segeltuch gebaut worden war, während Shackleton mit fünf Begleitern versuchen wollte, Hilfe zu holen und damit die Rettung aller zu organisieren. Dazu musste das größte Rettungsboot  notdürftig, d.h. mit den verbliebenen Mitteln für den stürmischen Südatlantik hergerichtet werden, um mit 6 Mann Besatzung und wenigen Vorräten das 800 Seemeilen entfernte Südgeorgien erreichen zu können, von wo aus die „ENDURANCE“ vor eineinhalb Jahren gestartet war. Die Hoffnung war minimal, dass dieses Boot, wie eine Nussschale im dort stets von Stürmen aufgewühlten offenen Meer diese todesmutige Fahrt übersteht ; aber dieser Weg ist die einzige Möglichkeit zum Überleben der ganzen Gruppe.

Eines der größten Probleme stellte dabei das Navigieren mit einem Handsextanten auf diesem schwankenden Gefährt dar:  Die relativ kleine Insel  muss auf jeden Fall gefunden werden! Shackleton und seine Begleiter hatten hier  das Glück der Mutigen und Tüchtigen und erreichten nach zwei Wochen stürmischer Fahrt wirklich die Walfang-Station. Damit schloss sich endlich der Kreis: Die kleine Gruppe hatte wieder Kontakt zur zivilisierten Welt  aufgenommen, und so konnte auch die Rettung der Übrigen umge-hend in Angriff genommen werden. Die Bergung der zweiundzwanzig auf ElefantIsland Zurückgebliebenen gelang aller- dings nur unter größten Schwierigkeiten und nicht zuletzt auch wieder mit dem notwendigen Glück : Erst beim vierten Versuch konnte ein kleines chilenisches Dampfschiff durch eine Lücke im Packeis endlich bis zur Küste von Elefant Island vordringen und die dort Wartenden aufnehmen. Vielleicht war das die letzte Möglich- keit einer Rettung für sie, denn die Lebensmittelvorräte hätten dort nur noch für wenige Tage gereicht.
So konnten die 28 Expeditionsteilnehmer im Herbst des Jahres 1916 nach  england zurückkehren.Alle hatten die unvorstellbaren Strapazen und Entbehrungen ,von wenigen leichteren erfrierungen abgesehen, schließlich heil überstanden. Waren die Geretteten in Chile noch mit großem Jubel empfangen worden, so muss die Heimkehr in England selbst relativ unauffällig abgelaufen sein.Das Land befand sich noch mitten im Krieg, und die täglichen Berichte von den Fronten überschatteten  selbstverstädlich jedes andere Ereignis.
Zwei Überlebende der Expedition fielen im 1.Weltkrieg. Shackleton selbst darf vielleicht eine tragische Figur genannt werden .Ein Leben lang trieb ihn der Traum vorwärts, für sein Land den Südpol zu erreichen; der erfolgblieb ihm versagt. Als er 1916 seineMannschaft heil nach England zurückgebracht hatte , musste er zusätzlich die Enttäuschung verkraften ,keine seiner herausragenden Leistung angemessene militärische Position erhalten zu können.Ruhelos und immer noch vom Südpol träumend startete er schließlich zwei Jahre nach Kriegsende erneut nach Süden, zusammen mit einigen seiner früheren Gefährten.

Es sollte seine letzte Reise werden.Shackleton starb nach einem Herzanfall im Alter von 47 Jahren auf Südgeorgien. Nach dem Wunsch seiner Frau wurde er auch dort, dem Südpol näher als in England, beigesetzt. Wahrscheinlich sind es nicht die Misserfolge , die Shackleton nicht nur bei seinen Landsleuten berühmt und beliebt gemacht haben , sonder eher die Tatsache, dass er alsverantwortlicher Leiter einer Expedition im scheitern die Größe und Übersicht besaß, seinen persönlichen Ehrgeiz dem ausschließlich verfolgten Ziel der Rettung aller zu opfern. Mit großem Mut und permanentem persönlichen Einsatz, einem nie versiegenden Optimismus und einer sehr entschiedenen, aber auch einfühlsamen Führung gelang es ihm, bei allen das Vertrauen zu gewinnen, das selbst in verzweifelten Situationen noch tragfähig blieb und half, in der Gruppe ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, dass das Schicksal aller vom Schicksal jedes einzelnen abhängig war.